Netzfund: Interview mit DJ Crash

Netzfund:
Interview mit DJ Crash von Sandra Schmidt, www.ghettoblaster-radio.net

Wie war Deine „Initiation“ in die HipHopKultur?

Ich muss erstmal checken, ob ich „Initiation“ richtig verstehe. Beim Hip Hop ist ja erst einmal keine Aufnahme notwendig oder ein Ritual. Endweder man fühlt, dass es das richtige ist oder nicht. Darüber hinaus wusste man in den frühen 80ern ja noch gar nicht, was Hip Hop wirklich vollumfänglich ist und man sich dafür nun entscheiden muss.

Was war die erste Begegnung, das Schlüsselerlebnis quasi?

Erste Begegnung mit Hip Hop war definitiv die Breakdancewelle 1983 in Deutschland. Mit damals 11 Jahren zum ersten Mal „The Message“ gehört, erste Scratches auf Herbie Hancocks „Rock it“ von Grandmixer DST gehört, faszinierender Sound. Angefangen selbst zu tanzen, in Fußgängerzonen, selbst zu scratchen, Mamas Plattenspieler misshandelt, selbst zu malen, Schulordner „beschmiert“, mitzurappen, ohne Englisch zu können. =))
Der Begriff Hip Hop war damals für mich zumindest quasi nicht vorhanden. Dass ich das ganze liebte (der Grundstein wurde quasi zu der Zeit gelegt) wurde erst später klarer.

Warum bliebst Du darauf hängen, was reizte Dich daran?

Der Reiz war zum einen der Identitätsgewinn, dann die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, auf jeden Fall auch das Neue und die Vielfältigkeit.

Wie war Dein Blickwinkel zu Anfang drauf und wie ist er es heute?

Als ich 1985 mit dem DJing anfing war mein Blickwinkel eher aus der Position eines nacheifernden Teenys. Ich konzentrierte mich nur auf mich selbst und tauschte mich sporadisch mit anderen aus. Damals war mir als angehender DJ der Disco-Funk noch wichtiger als Rap. Man wusste zwar inzwischen was Hip Hop war und hatte den Blick fest auf Amerika gerichtet, aber bei mir war es ab ca. 1987 dann eher eine Art Nachmachen und Dazugehörenwollen. Heute gucke ich aus einiger Entfernung zurück, was die nachkommenden Jahrgänge so tun und da sehe ich drastische Veränderungen…

Was hat sich da verändert und wodurch, falls?

Früher war es ein entdecken, ohne zu wissen, wohin die Reise letztendlich gehen wird. Man war mit der Zeit immer stärker connected mit Leuten, die das gleiche wollten, eine ähnliche Leidenschaft teilten. Vielen fanden oft erst nach und nach Ihre Schwerpunkte, alle Elemente hatten aber immer ein Gefühl des Zusammenhalts, auch elementübergreifend.
Heute entscheiden sich nach meiner Auffassung Jugendliche oft für „Hip Hop“, weil es gerade „cool“ ist oder sie entweder auch so ein Wichs machen wollen, wie irgend ein bekloppter Rapper es grad tut. Wenn man Jugendliche fragt, ist für sie meistens Rap mit Hip Hop gleichgesetzt, deshalb Hip Hop oben auch in Anführungszeichen. Oft hört man: „Ich mach‘ Hip Hop“. Das ist seltsam und man merkt einfach oft, dass eine grundlegende Leidenschaft fehlt (sicher nicht bei allen). Es geht dann eher um „krass sein“, „Bitches“, „Kohle machen“ etc.. Vermutlich liegt es daran, dass Rap über die Jahrzehnte immer vermarktungsfähiger wurde, obwohl es immer als kurzlebige Modeerscheinung gebranntmarkt wurde. Alle anderen Elemente ließen sich nicht so sehr zu Kohle machen von der Industrie. Graffiti hat es im Grunde bis heute nicht vollständig zur verdienten Akzeptanz gebracht, dass es Kunst ist!

Wäre HipHop eine Person, wie würdest Du den Charakter beschreiben?

Den Charakter von Hip Hop ansatzweise zu beschreiben ist nicht einfach. Wichtige Eigenschaften sind aber meiner Meinung nach leidenschaftlich, zielstrebig, kreativ, gemeinschaftlich, mutig, liebend, familiär…

Hast Du eine bestimmte Philosophie, was ist und bedeutet HipHop für Dich persönlich?

Dit wird n Roman hier 😉 Ich war und bin schon immer ein Verfechter von „Each one, teach one“ gewesen. Ich finde auch, dass es beim Graffiti und Breakdance heute auch noch gut funktioniert. Das DJing (explizit Turntablism) ist aber eher zu eine Art Nerdshit geworden. Oder es wird eben „nur“ Musik aufgelegt, ist dann aber kein Hip Hop, gerade im Hinblick auf Auto-Sync oder ähnliche Automatismen. Der DJ ist dadurch irgendwie total schwammig geworden und wird in Zusammenhang mit Hip Hop auch am seltesten genannt. Dann eher noch Beatbox, welches oft als das 5. Element bezeichnet wird, eigentlich haben es aber die MCs damals gemacht. What ever: Hip Hop ist für mich ein Lebensgefühl, es hatte Einfluss auf die Erziehung meiner Kinder. Es hat mich geprägt wie sonst nichts anderes auf der Welt. Meine Familie hatte damals keine Chance gegen Hip Hop. Es hat meinem Leben Sinn gegeben. Es hat meinen Charakter geformt, Dinge wie Moral, das Miteinander, Freundschaft und Fairness gefestigt und sie verankert. Ohne Hip Hop wäre ich nichts!

Hast Du Wünsche, Träume, Visionen und Botschaften an Deine Hörer und auch Leser hier?

Ich wünsche mir Hip Hop zurück und zwar jenes ohne Anführungszeichen! Ich träume davon! Visionen habe ich derzeit aber leider keine, stehe dem Thema grad etwas abgefuckt gegenüber, weil es für die Jugend heute nicht mehr das bedeutet, was es mir bedeutet. Wie hat es Jules in Pulp Fiction so schön zu Vincent gesagt: „Es ist verdammt nochmal nicht das gleiche Spiel, es ist nicht die selbe Liga, es ist noch nicht einmal der selbe verdammte Sport!“ 😉 So sehe ich das leider auch ABER, es gibt auch Ausnahmen…

Was bewog Dich dazu, Dich für eine Partei zu interessieren, die sich HipHop auf das Banner schreibt?

Alles oben beschriebene, wobei Hip Hop leider auch bei der Partei „Die Urbane“ nicht wirklich passt, weil es hier vermutlich zu viele Menschen ausschließt und die Reibungsverluste schon beim Richtigstellen enorm sind, „warum ‚Eine Hip Hop Partei‘?“.
Aber das ist nur meine bescheidene Meinung.

Quelle: Die Urbane Facebookgruppe „HipHop meets Politics“ – 30.05.2018
Anmerkung: Die Fragen wurden in die Du-Form geändert. Ursprünglich waren Fragen in der Ihr-Form formuliert gerichtet.