Label Review Jive Records
Wo fängt man eigentlich an bei einem Label, welches Britney Spears, die Backstreet Boys und NSYNC gesigned hat? Ich meine, es geht doch hier auf diesen Seiten um Hip Hop und Artverwandtes! Gut, wir wollen das Pferd auch nicht von hinten aufzäumen, also nehmen wir einmal die Geschichte von Jive Records und insbesondere auch Jive Electro einmal von Anfang an unter die Lupe.
Das Jahr 1971 war ein sehr bedeutendes, denn es wurde zu dieser Zeit nicht nur grandiose Musik für die Ewigkeit geschrieben, sondern auch die Grundsteine für eines der bedeutendsten Labels des Hip Hop und Electro-Funk gelegt. Clive Calder und Ralph Simon gründeten Anfang der 70er Jahre in Süd-Afrika die Firma ZOMBA Records, um sich fortan um die Vermarktung, Management, Produktion und den Vertrieb von Musik zu kümmern. Da man zu dieser Zeit und an diesem Ort aber nicht das große Geschäft machen konnte, verlagerte man den Firmensitz Mitte der 70er Jahre prompt nach London und nannte sich fortan Zomba Corporation. Ihr erster Kunde war damals ein noch sehr junger Produzent namens Robert John Lange, liebevoll „Mutt“ genannt. Dieser konnte sich kurze Zeit später etablieren und produzierte dann Bands wie The Boomtown Rats, Graham Parker und vor allem AC/DC! Hier sind „Highway To Hell“ zu nennen und vor allem „Back In Black“, das meist verkaufte Hard-Rock Album aller Zeiten. Wir sollten aber besser zum eigentlich Kern dieser Zeilen kommen. 1981 war das Jahr, in dem von Clive und Ralph das Label Jive gegründet wurde. Man wollte englische und zu der Zeit absolut angesagte, elektronische Dance- und Pop-Musik veröffentlichen. Eine der ersten Bands war die New Wave Kombo A Flock Of Seagulls deren Hits wie „I ran“ und „Wishing“ den Sound der 80er Jahre prägten und das nicht nur in Europa. Neben der Synth-Pop Band Q-Feel, die im Grunde in das gleiche Horn bließ und Tight Fit, die eine Art Stars-on-45 Band waren und Songs der 60er mit Rap-artigen ‚Moderationen‘ unterlegt schmetterten, war es für Hip Hop und Electro-Funk 1982 ein ausgewachsener Starting-Point. Denn mit dem Release „Jive Rhythm Trax“ von den Willesden Dodgers stieß ein B-Boy Meilenstein in die Ohren der damals noch sehr sehr kleinen europäischen Hip Hop Szene. Der schlichte Name des Tracks „122 B.P.M.“ war absolut prägend und jeder der je Breakdance getanzt hat kennt ihn und ja, oft vielleicht nur von DJ Jazzy Jeff & The Fresh Prince, aber dazu später mehr…
Dieser Sound orientierte sich natürlich klar an Kraftwerk und das „Computer Welt“ Album war zu der Zeit gerade einmal 1 Jahr alt. Aber wir sprechen hier auch von der selben Zeit, als „Planet Rock“ von Afrika Bambaataa in New York entstanden ist und das mit deutlich offensichtlicheren Anlehnungen an Kraftwerk. Die Beats auf diesen Album und auch auf dem „Jive Rhythm Trax Volume 2“ Album sind nicht viel mehr als Skizzen, aber es startete bei Jive etwas ganz wunderbares, es schärfte die Sinne für Hip Hop und Electro. Während Tight Fit noch die Katalognummer „HIP 1“ besaß, hatte man sich bei den „Jive Rhythm Trax“ tatsächlich „HOP 203“ überlegt! Really?! Im gleichen Jahr erschien Whodini’s „Magic’s Wand“ und mit „Street Level“ von Zinc kam Boogie Funk ins Portfolio. 1983 dann das Debüt Album von Whodini mit der Katalognummer „HIP 10„, crazy. Ein gewisser Barry Weiss stellte den Kontakt zu den Jungs aus Brooklyn her und verschaffte ihnen letztendlich einen Platten-Deal und umgekehrt brachten Whodini New Yorker Rap auf ein englisches Label! Viele der Tracks wurden von Jive’s hauseigener ‚Band‘ produziert, den Jive-Rhythm-Trax Leuten Willesden Dodgers. Sie waren ein Zusammenschluss von Produzenten und Toningenieuren, die fest für Jive arbeiteten. Beim Whodini Album kam auch der deutsche Produzent Conny Plank ins Spiel, der die Tracks „Nasty Lady“ und „Rap machine“ nicht nur produzierte und mischte, sondern auch mit schrieb und maßgeblich am fantastischen Sound dieses Jive Releases beteiligt war.
Roy Carter, Mitglied der Disco-Funk Band Heatwave produzierte 1983 den nächsten Knaller des frühen englischen Electro, „London bridge is falling down“ des Londoner DJ’s Bertram Johnson, besser bekannt als „Newtrament„. Neben Willesden Dodgers „Jive Scratch Trax“ (HIP 6) und weiteren Boogie Funk Tracks von Sinnamon, Spice und die grandiosen Class Action wurde dann 1984 das Sub-Label „Jive Electro“ geboren, vermutlich um die verschiedenen Sparten besser zu trennen. Erste Veröffentlichung auf Jive Electro waren die Berliner Pioniere der elektronischen Musik Tangerine Dream. Es folgten ähnlich gelagerte Interpreten wie Neuronium und Mark Shreeve, aber als sich Tangerine Dream 1988 von Jive Electro verabschiedeten, war diese Sparte für mehr als 10 Jahre auf Eis gelegt.
1985 kam der Engländer Jazzy Jeff auf Jive zum Zuge, ja, Engländer! Es handelt sich hier nämlich nicht um DJ Jazzy Jeff und es ist sogar so, dass gegen Jive Klage erhoben wurde, weil diese 2 Künstler mit gleichem Namen zugelassen und gesigned hatten. Das Album „On Fire“ (HIP 27) hatte es aber in sich und insbesondere „King Heroin“ war ein absolutes Brett.
1986 hatte sich Jive längst intensiver in den USA umgesehen und fand immer neue Künstler, vor allem im Bereich Rap wurde sich vermehrt umgesehen. So fand auch Steady B mit seinem Debüt „Bring The Beat Back“ eine Heimat. Es gab zwar auch immer wieder Pop Releases wie die von Samantha Fox, aber spätestens ab 1987 wurde Jive zu das, was man ein ausgewachsenes Hip Hop Laben Nennen darf. Zunächst kam HIP 44, das erste Album von Kool Moe Dee, als ich das erste mal „Go see the Doctor“ hörte, war ich völlig geflashed, dann noch im gleichen Jahr „How ya like me now“, Hammer! Es folgte das erste Album von DJ Jazzy Jeff & The Fresh Prince, dieses Philly Zeugs war anders, Girls ain’t nothing but trouble, The Magnificent Jazzy Jeff oder A touch of jazz waren stark, aber mit HIP 61 kam 1988 das 2te Album „He’s A DJ, I’m A Rapper“, welches trotz Doppelalbum durchweg sehr gut ist. DJ Jazzy Jeff hat damals mein Gehirn freigeblasen, ich liebe seine Scratches bis heute, nichts vor ihm war so dermaßen funky und erstmalig stand auch ein DJ so stark im Fokus. „Live at Union Square“, eine Aufnahme vom November 1986 konnte mein Verstand gar nicht aufnehmen und ich hörte ihn gefühlt einige 100 Male. Ich erwähnte am Anfang schon, dass uns 122 B.P.M. noch einmal begegnen würde und hier ist er. DJ Jazzy Jeff’s Scratches im Track „Rhythm Trax – House Party Style“, nicht von dieser Welt!
Es erschienen weiter die Alben von Schooly D, Skinny Boys, Boogie Down Production, Too $hort, die Engländerinnen Wee Papa Girl Rappers, Doctor Ice, D-Nice, A Tribe Called Quest, allesamt mit mehreren Alben. Herausragend waren auch die Compilation „Word“, die es in mehreren Volumes gab.
Spätestens mit R. Kelly könnte man meinen, man hätte 1992 bereits das Ende der guten alten Zeit eingeleitet, aber neben Pop und R’nB gab es dennoch immer wieder geniale Neuzugänge wie Spice 1, Pooh-Man, die Fu-Schnickens und natürlich die Solo Sachen von KRS-One. 1993 kam eines der besten Rap-Alben aller Zeit durch Jive auf die Plattenteller, Souls Of Mischief debütierten mit HIP138, „93 ‚Til Infinity“. Auch HIP137 konnte mit einer fantastischen Compilation zum Film Menace II Society aufwarten. Aus dem Hieroglyphics Universum kam auch wie schon die Souls mit HIP150 Extra Prolific mit „Like it should be“ um die Ecke. Trotz weiteren Artists wie Keith Murray, Celly Cel, Underground Kingz, B-Legit und The Click, kamen auch immer mehr eher ’schräge‘ Interpreten bei Jive unter. Wenn man bedenkt, wer hier schon alles released hat, kann man sich über Bands wie Rednex und vor allem sowas wie Mo-Do (Eins, Zwei, Polizei…) wirklich nur wundern. Was ist das? Die Backstreet Boys, NSYNC und Britney Spears waren dann meiner Meinung nach der komplette Absturz und das Label im Mainstream-Sumpf angekommen. So wahnsinnig viel Innovationen in den 80ern und Underground Künstler gefördert und dann wird das schnelle Geld scheinbar wichtiger. Jedenfalls wurde Zomba inklusive Jive 2002 für 2,7 Mrd an BMG verkauft. Man hat Jive dann 2011 bei RCA integriert, was letztendlich bedeutet, dass dieses wunderbare Label faktisch nicht mehr existiert. Einst benannte man das Label nach dem südafrikanischen Township-Jive Style, es hat Hip Hop in den 80ern einen unglaublichen Push gegeben und zwar weit über die europäischen Grenzen hinaus, um dann am Ende bei Sony Music und austauschbarem Teen-Pop Schrott zu landen, sehr traurig.
Jive, Du bist wie die erste große Liebe, die sich dann immer weiter von Dir entfernt hat, schließlich andere Wege ging und starb. Rest in Peace…
